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Argentinien 2   -   24. Januar 2009 - 05. Februar 2009


Sem – der Gaucho Ciclista
 
Argentinien, 24. Januar bis 2. Februar 2009
 
Strecke: Cerro Castillo/Cancha Carrera – Tapi Aike – El Calafate – Rio La Leona


Nach dem gelungenen Grenzübertritt von Chile hinüber nach Argentinien bogen wir nach den ersten sechs Kilometern auf die legendäre „Ruta 40“ ein, die an dieser Stelle gar asphaltierte Strasse führte uns dann am nächsten Tag ins knapp 40km entfernte Tankstellenörtchen Tapi Aike. Da an diesem Tag der Wind in unsere Fahrtrichtung wehte, wollten wir gleich weiter. Genau in diesem Augenblick tauchten jedoch am Horizont zwei uns entgegen kommende Tourenradler auf – es waren Rike und Malte. Wir begannen zu schwatzen und es kam so, wie es kommen musste: Wir verschwatzten den ganzen tollen Rückenwindnachmittag. Endlich verabschiedeten wir uns und was sahen wir in der weiten Ferne: Zwei weitere Pedaler – Jamie and Matt und so redeten wir gleich weiter, blieben in Tapi Aike, zelteten dort, kochten und assen dort mit unseren neuen Freunden.
 
Am zweiten Tag wandelte sich dann – wie man es vermuten kann – der tolle Rückenwind, nach etwa 40km in Seitenwind und schliesslich (vorallem weil die Strasse nach links abbog) in krassen Gegenwind. Dieser hielt seinen Atem die ganze Nacht an und wehte gar noch Ärger am nächsten Morgen!
 

Da wir jedoch in der einsamen patagonischen Steppe nicht bleiben wollten, kämpften wir uns weiter. Beide jedoch träumten wir heimlich vom grossen, leeren Lastwagen, der neben uns stoppt und uns einfach mitnimmt – doch nichts der gleichen geschah! Nein - der Wind nahm in Stärke und Kälte nur zu. Die Kappe und die Handschuhe montierten wir und Karin holte sogar ihre Daunenjacke hervor. Vollbekleidet kämpften wir uns also weiter durch den patagonischen Sommer. Wir klebten auf dieser Strasse, die immer leicht aufwärts ging und sich endlos durch diese Pampa zog. Die Stimmung sank und wir realisierten, dass wir es so heute nicht mehr nach El Calafate schaffen würden.

der ewige patagonische Wind
 
Ausgekühlt vom kalten Wind erreichten wir einen, durch ein Schild angekündigten Aussichtspunkt. Und dort- Hilfe - geschah es! Sie standen lose herum, sahen uns, kamen näher, wir hatten keine Chance - wir wurden am hellichten Tag überfallen! Von einer ganzen Busreisegruppe. Sie umstellten uns, zogen ihre Digicams hervor, betatschten unser Pino, stellten Fragen und ja - die Damen hakten sich sogar bei Sem ein und freuten sich mit einem solchen Tourero verewigt zu sein. Und stellt euch vor - einige konnten es nicht einmal lassen auch noch unsere stählernen Oberschenkel anzufassen. Die benahmen sich wirklich noch schlimmer als die Chinesen! – und dies sagten wir ihnen auch!
 

Das war doch genau das, was wir nach diesen letzten, argen Stunden wirklich nicht brauchten. Wir verziehen ihnen jedoch, als sie in ihrem Bus eine Sammlung machten und wir Apfelsaft, Orange, Bananen, Schoggi, etwas Cola und 2,25Liter 7UP bekamen. Im weiteren wurden wir versöhnt, mit dem was wir erblickten: Wir waren an einem Aussichtspunkt und Aussichtspunkt bedeutet, dass man eine Aussicht hat – da war sie: Blick aufs Tal des Rio ...... , runter auf den Lago Argentino und hinüber zu den Bergen und vorallem bedeutete es, dass wir eine Abfahrt vor uns hatten! Selbst Karin meinte nur, dass wir ja nicht bremsen und dies taten wir auch nicht für auf den ganzen 15km hinunter in die Ebene. Doch der Kampf war noch nicht vorbei – es ging weiter gegen den Wind und wir pedalten an diesem Tag 8 Stunden und 20 Minuten – meistens unter krassem Krafteinsatz, hatten einen Schnitt von 10 km/h und schlichen über 87 Kilometer Strasse. Wir waren so kaputt, als wir dann abends doch noch El Calafate erreichten.
 

Gletscherabbruch am Perito Moreno

Am 31. Januar machten wir, was wir schon so lange nicht mehr getan hatten: Wir mieteten uns ein Auto und besuchten den 80 Kilometer entfernten Perito Moreno Gletscher. Das Pedalen dorthin wäre erstens mal wieder gegen Dauerwind gewesen und zweitens mögen wir solche Sackgassfahrten – auf der gleichen Strasse hin- und zurück – eh nicht so. Der Gletscher war sehr eindrücklich, wie er in den Lago Argentino hinein wuchs und gegen die Halbinsel Valdez drückte. Wir hätten stundenlang dort stehen können, mit den Augen die Eisfläche absuchen, um Abbrüche zu beobachten, dem Donnern und Grollen zuhören, wenn einfamilienhausgrosse Stücke des Gletscher abbrachen und die Wellen zu sehen, die diese herunter gefallenen Eismassen im Wasser auslösten.  Es ist ein wirklich spektakulärer Ort, den wir bei wunderschönem Wetter besuchen durften.
 
In El Calafate wartete jedoch unser Pino und so ging es per Pedales weiter. Die Strecke bot nicht sonderlich viel, doch die ersten 30 Kilometer hatten wir guten Rückenwind, der an der Abzweigung nach El Chalten natürlich in bremsenden Seitenwind wechselte.

 
Pedalen, pedalen war das Tagesmotto und als die Sonne so langsam hinter dem Horizont verschwand, kam wie jeden Abend die Frage der Nacht auf. Schon vorher ersahen wir auf der Karte, dass wir wahrscheinlich bis etwa zum Rio La Leona pedalten – Flüsse sind in dieser eher doch kargen Landschaft immer ein guter Ort, um das Zelt aufzubauen. Es gibt Wasser und oft ein paar Bäume – oder wenigstens doch Büsche, die Windschutz boten. Auf der Brücke, Biggieri, über diesen besagten Fluss bemerkten wir schon, dass wir zwei Möglichkeiten geboten bekamen: Rechts der Strasse standen einige Bäume, die uns den oben erwähnten Windschatten hätte geben können und links stand ein – nennen wir es einmal – Blechhaus. Karin checkte die „rechte“ Zeltmöglichkeit aus, doch schon am Tor zu den Bäumen war kein weiter kommen. Es war mit einem Vorhängeschloss verriegelt.
 
Also kam nur die Variante links in Frage. Kaum waren wir beim Haus, stiess Sem auch schon an der Türe des aus Wellblech gebauten Hauses und sie liess sich sogar aufschieben. Drinnen war es windstill, einige Schaffellreste lagen herum, zwei, drei Ölfässer, kaputte Holzkisten, Plastikplanen und es gab sogar eine Feuerstelle mit fellüberzogenen Hocker.
 
Sems Urteil war schnell gefällt: Hier bleiben wir! Wir stiessen das Tor ganz auf, rollten das Pino hinein, Tür zu und drinnen waren wir. Doch noch war ein ungutes Gefühl dabei einfach in ein fremdes Haus – oder nennen wir es doch eher Stall – hinein zu gehen. Karin sass mit mulmigem Gefühl auf dem Fellhocker und werweiste, was denn geschehen würde, falls da plötzlich ein, zwei oder drei Gauchos auftauchten. Doch Sem wusste die Situation mal wieder zu retten und meinte: „Wenn die kommen, dann sage ich „ola – du Gaucho – weisch, ich Gaucho ciclista!“  Ja, da hätten die uns ja auch gar nicht böse sein können und wir wären sicherlich zu einem netten Asado eingeladen worden...

unser neues Haus